Besinnung am Fuße der Berge

Mit sonnengelber Fassade und Zwiebelturm fügt sich das oberbayerische Karmeliten-Kloster Reisach harmonisch in die Alpenkulisse ein. Hier leben seit September 2012 fünf polnische Patres, die in den Gemeinden Niederaudorf, Oberaudorf und Kiefersfelden sowie in der Klinik Bad Trissl seelsorgerisch tätig sind. Wir treffen Pater Matthäus, der bereits im Alter von 18 Jahren in den Orden eingetreten ist. Im Gespräch mit dem heute 30-Jährigen erfahren wir in Kirchenkrisenzeiten Überraschendes über den Klosteralltag. Im Kloster Reisach leben Karmeliter der Welt entrückt, aber nicht weltfremd.

Das beeindruckende Holztor des Kloster Reisach öffnet sich und man betritt eine andere Welt. Irgendwie bleibt der hektische Alltag draußen und die Ästhetik alter Baukunst nimmt die Betrachter in Empfang. Der mittlere Wohntrakt des Klosters wurde 2002 geschmackvoll renoviert. Im Refektorium, dem Speisesaal des Klosters, eröffnen große Fenster den Blick in den winterlichen Klostergarten. Die malerische Bergkulisse erinnert an den Ursprung einer christlichen Gemeinschaft, die im Karmelgebirge (Israel) entstand. Europäische Einsiedler zogen sich im frühen 13. Jahrhundert aus den kriegerischen Geschehnissen der Kreuzzüge dorthin zurück, um sich auf Gott zu besinnen.

Auch das Kloster Reisach war ursprünglich als Einsiedelei geplant, mit der Grundsteinlegung im Jahr 1732 entstand eine großzügige Klosteranlage. Seit der Säkularisation Anfang des 19. Jahrhunderts ist das Kloster im Staatsbesitz und wird von der karmelitischen Ordensgemeinschaft in seinem Bestand erhalten. Das Kloster beherbergt eine Besonderheit: Im Seitenanbau der Kirche befindet sich eine fast vollständig erhaltene Klosterbibliothek, die von Plünderungen verschont blieb. Heute wird nur noch der mittlere Trakt von fünf Karmeliten bewohnt, in einem bisher leer stehenden Gebäudeflügel entsteht gerade ein Gäste- und Exerzitienhaus. Hier sollen Menschen christlichen Glaubens, wobei Frauen und Männer gleichermaßen willkommen sind, einen Ort der inneren Einkehr finden. Wer mag, kann künftig als Gast am klösterlichen Leben teilnehmen, das Gespräch mit den Geistlichen suchen oder sich einfach nur eine Auszeit im Kloster nehmen. Das Interview mit Pater Matthäus Bochenski vermittelt einen Einblick in das Leben eines jungen Ordenspriesters. Die pressewoche stößt auf amüsante und nachdenklich stimmende Facetten eines Klosteralltags, der den Bogen zwischen historischem Erbe und modernem Leben schließt.

Das Medienzeitalter hat im Kloster Einzug gehalten, Handy und Internetanschluss sind selbstverständlich. Hier wird nicht nur gebetet, erst kürzlich hat Pater Matthäus beim Diözesen-Skirennen im Sudelfeld den zweiten Platz gemacht, als Erster preschte Pater Richard durchs Ziel. Im September 2012 wurde Pater Matthäus vom polnischen Provinzial ins Kloster Reisach berufen und hat sich seither gut eingelebt im Inntal. Als Pfarrvikar ist er in der katholischen Gemeinde Kiefersfelden tätig und leitet unter anderem den dortigen Jugendchor. „Musik hat mich zur Vertiefung des Glaubens geführt“, erzählt ein Ordensmann, der gerne singt und im Klosterkeller E-Gitarre spielt. Als Gitarrist gehörte er einer katholischen Jugendband an und fühlte sich von der Bedeutung kirchlicher Liedtexte angesprochen. Aufgewachsen in Polen, lernt der Schüler Bochenski früh die deutsche Sprache und sieht dies später als Plan Gottes. Da sich in Deutschland nur noch wenige für ein Leben im Kloster entscheiden, leiten seit vergangenem Herbst polnische Karmeliten das Kloster Reisach. „Man braucht mich hier“ sagt Pater Matthäus und ist heute froh über seine guten Deutschkenntnisse.

Vor viereinhalb Jahren wurde der Ordensbruder in Krakau zum Priester geweiht und erlebt seine Berufung als Erfüllung seiner Jugendträume. Obwohl er die Geborgenheit einer Großfamilie genossen hat, wollte er keine eigene Familie gründen, sondern begreift die Kirche als seine Familie. „Es war eine Entscheidung für etwas und nicht gegen etwas. Durch Gott erfahre ich eine viel tiefere Freude und Liebe, als sie mir ein Mensch geben kann.“ Pater Matthäus wirkt dabei so ausgeglichen, dass jeglicher Zweifel an seinen Worten unangebracht erscheint. Vielmehr zeigt sich, wie wohltuend er die Spiritualität seiner Ordensgemeinschaft nach außen trägt. Kontroverser gestaltet sich unser Gespräch in Bezug auf die von katholischen Bischöfen vorerst gestoppte Studie zur Aufarbeitung sexueller Missbräuche an Minderjährigen durch katholische Geistliche in Deutschland. Hier äußert sich eine pro kirchliche Sichtweise, geprägt von ausschließlich positiven Erfahrungen mit Priestern.

„Das Leben in der Ordensgemeinschaft gibt uns viel Kraft für die Seelsorge in den Gemeinden,“ schildert Pater Matthäus. Dreimal täglich treffen sich die Karmeliten zum gemeinsamen Gebet und gehen ansonsten ihren Aufgaben im Kloster und in den Pfarreien nach. Das Kloster dient ihnen als Rückzugsmöglichkeit – ein Ort, an dem sich übrigens auch Klosterhund Erem (polnisch für Einsiedelei) sichtbar wohl fühlt. Das Teresianische Karmel in Deutschland umfasst neben Schwestern- und Brüderorden auch Laiengemeinschaften, die für Christen aller Konfessionen offen sind. Auch im Kloster Reisach trifft sich einmal im Monat eine Laiengruppe zum Gedankenaustausch. Für Interessenten werden zudem regelmäßig Vorträge angeboten.

 

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