Verfassungskonvent Herrenchiemsee

Der Spiegelsaal des Schlosses Herrenchiemsee ist ein beeindruckender Ort für eine geschichtsträchtige Veranstaltung. Im Beisein zahlreicher Minister, Bundestags- und Landtagsabgeordneter und Prominenz aus der gesamten Region wurde am 20. Juli 2008 auf Herrenchiemsee nicht nur an das 1944 gescheiterte Attentat auf Adolf Hitler erinnert. Vor allem galt der Festakt dem Verfassungskonvent vor 60 Jahren. Die Begeisterung über einen demokratischen Neuanfang nach der Nazi-Diktatur war insbesondere dem letzten noch lebenden Zeitzeugen anzumerken, Dr. Walter Holzapfl hat als damals 24jähriger Stenograph den Verfassungskonvent miterlebt. Bewegt erzählt der Ehrengast auf Anfrage der Redaktion von seinen Eindrücken und schwärmt von der arbeitsintensiven und konsensorientierten Stimmung frei vom Wettbewerb der Länder: „Entscheidend waren die Persönlichkeiten, die völlig selbstständig agieren konnten“.

In seiner Festrede unterstrich Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble (CDU) die große Bedeutung der Verantwortungs- und Einsatzbereitschaft aller Bürgerinnen und Bürger. Er skizzierte die zurückliegende Entwicklung deutscher Demokratie und schloss mit dem Fazit: „Denen, die daran mitgewirkt haben, gilt unser Dank. Wir alle tragen Verantwortung, die Grundlagen einer offenen Demokratie, von Frieden und Freiheit auch für die Zukunft zu erhalten.“ Über den musikalischen Hochgenuss der von Festspiel-Intendant Enoch zu Guttenberg initiierten Veranstaltung freute sich auch Rosenheims Oberbürgermeisterin Gabriele Bauer: „Es tut gut, wenn Politik und Musik einmal aufeinander treffen.“ Nicht ohne Stolz ging auch Landrat Josef Neiderhell der historische Anlass durch den Kopf. Es sei schön für die Region, dass die Herreninsel in einem zeitgeschichtlich so wichtigen Bereich eine Rolle spielen durfte.

Noch vor Ministerpräsident Dr. Günther Beckstein (CSU) durfte Dr. Josef Ackermann, Vorstands-Vorsitzender der Deutschen Bank, sein Grußwort an die Gäste richten. Eine Sponsoren-Präsens, die nicht nur der Bundestagsabgeordneten Angelika Graf (SPD) übel aufstieß: „Es ist für mich völlig unverständlich, wie ein Mensch, der noch dazu gerichtlich nicht ganz unbekannt ist, hier sich hinstellt und hier ein Grußwort spricht. Das ist etwas, was mich zutiefst empört.“ So arm sei der Freistaat Bayern nicht, dass man sich so einen Abend schenken lassen müsse. Mit umfassender Kritik sahen sich die Festgäste im Priener Hafen konfrontiert. Dort galt eine Mahnwache der Grünen den durch das bayerische Versammlungsrecht eingeschränkten Bürgerrechten. Die grüne Landtagsabgeordnete Barbara Rütting hat ihre Teilnahme am Festakt aus Protest gegen die fortwährenden Attacken des Bundesinnenministeriums auf die bürgerlichen Freiheitsrechte durch online-Untersuchungen und Vorratsdatenspeicherungen abgesagt.

INFO

Vor 60 Jahren, im August 1948, tagten im ehemaligen Augustiner-Chorherrenstift auf Herrenchiemsee Ländervertreter und Sachverständige, um einen ersten Verfassungsentwurf auszuarbeiten. Auf Vorschlag des bayerischen Ministerpräsidenten Hans Ehard (CSU) traf man sich auf Herrenchiemsee. Anton Pfeiffer, damaliger Leiter der bayerischen Staatskanzlei eröffnete den Konvent am 10. August im ehemaligen Speisezimmer von König Ludwig II. von Bayern. Der Verfassungskonvent hat mit seinem „Chiemseer Entwurf“ einen wesentlichen Beitrag zur Entstehung des Grundgesetzes geleistet. Die damaligen elf westdeutschen Länder entsandten dazu jeweils einen stimmberechtigten Vertreter. Die Bevollmächtigten galten als Experten für staats- und verfassungsrechtliche Fragen. Der Entwurf umfasste neben den Grundrechten vor allem auch die Grundzüge einer föderalen Machtverteilung zwischen Bund und Ländern.

KOMMENTAR

Licht und Schatten

Im Königsschloss den ersten Anfängen deutscher Demokratie zu gedenken, dieser Kontrast ist schon bemerkenswert. Der würdige Charakter einer derart politisch ausgerichteten Veranstaltung hängt allerdings von weiteren entscheidenden Faktoren ab. Da wäre vor allem die Auswahl der Redner zu nennen. Dass hier im Lichte geschichtsträchtiger Feierlichkeiten der Vorstands-Vorsitzende der Deutschen Bank sein Image aufpolieren durfte, erzeugt einen recht bittren Beigeschmack, über welchen auch die großartig vorgetragene Musik leider nicht hinwegtäuschen konnte. Selbst die Pracht eines Spiegelsaals überstrahlt nicht alles. Dem Festakt im Ambiente einer längst vergangenen Epoche hätte politische Ausgewogenheit und deutlich mehr Bürgernähe gut getan.

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